Ich merke sofort, wenn Sätze falsch gesetzt sind, wenn Worte in der Luft hängen, wenn etwas in der Tonalität nicht stimmt. Ich kann an einer Formulierung körperlich ersticken. Und ich meine das wörtlich. Mein Körper zieht sich dann zusammen, meine Schultern heben sich, ich bekomme Druck im Kopf. Ich reagiere mit Abwehr – nicht weil ich empfindlich bin, sondern weil Sprache für mich ein Resonanzraum ist, durch den alles hindurchgeht.
Das passiert nicht nur im Gespräch. Auch beim Lesen. Beim Hören. Und besonders bei Musik. Ich kenne Songs, bei denen ich nach dem ersten Hören den Text auswendig kann. Nicht, weil ich ihn auswendig lernen will – sondern weil er sich in mir festsetzt. Ich bekomme Gänsehaut, inneres Leuchten, eine Mischung aus Weitung und Tränen. Ich sehe Bilder. Ich spüre Erinnerungen. Jahre später ruft derselbe Song dieselben Gefühle auf. Es ist, als würde mein System eine Art semantisches Gedächtnis bilden – eines, das nicht Fakten speichert, sondern Bedeutung und Gefühl.
Sprache ist für mich nicht neutral. Sie ist lebendig, elektrisch, durchlässig. Und sie kann heilen oder verletzen, verbinden oder zerschneiden. Ich spüre das sofort. Ein falscher Ton – zum Beispiel autoritär, belehrend oder in Coachingsprech – kann mich aus dem Gespräch werfen. Wie zwei Magnetpole, die sich abstoßen. Ich bin dann nicht mehr da. Mein System zieht sich zurück.
Was hier beschrieben wird, ist kein „Zuviel“ im pathologischen Sinn. Es ist ein fein eingestelltes Wahrnehmungssystem. Die Forschung spricht bei neurodivergenten Menschen – etwa bei ADHS, Autismus oder Hochsensitivität – von erhöhter semantischer Verarbeitungstiefe. Sprache wird nicht nur als Information, sondern als körperlich-emotionale Schwingung verarbeitet.
Wenn du also jemanden kennst, der überreagiert, wenn du ihm etwas „ganz normal“ sagst – frag dich vielleicht nicht zuerst, ob sie überempfindlich ist. Sondern ob du gerade einfach ein lautes Signal in ein offenes Nervensystem sendest.
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