Ich höre ein Wort – und gleichzeitig entstehen Ebenen. Herkunft, Unterton, historische Bedeutung, unausgesprochene Motive. Ich sehe nicht nur die Oberfläche, sondern die Brüche dahinter. Als würde ein Prisma das Gesagte in Farben zerlegen, bevor es überhaupt vollständig bei mir angekommen ist.
Das läuft nicht in Zeitlupe ab, sondern im Gegenteil: schneller als das Gespräch selbst. Während andere noch beim Satz sind, habe ich schon zehn innere Reaktionen. Ich habe den Klang, die Haltung, die implizite Botschaft und die sozialen Muster, die sich durchziehen. Diese Geschwindigkeit wirkt auf andere oft wie eine „Analyse-Maschine“. Für mich ist es einfach Wahrnehmung.
Manchmal wünschte ich, ich könnte es abstellen. Einfach nur zuhören, ohne die Ebenen zu spüren. Aber das geht nicht. Es ist, als ob mein Gehirn keine „Einfache Sprache“ zulässt. Alles wird sofort vielschichtig. Das ist anstrengend, aber auch Teil dessen, wer ich bin.
Natürlich hat es Vorteile. Ich erkenne Muster, bevor sie jemand anders überhaupt bemerkt. Ich sehe, wenn Menschen im Widerspruch zu sich selbst sprechen. Ich spüre Dynamiken in Gruppen, die andere nicht einmal ahnen. Aber es ist auch isolierend. Weil ich nie ganz „einfach“ sein kann. Weil meine Wahrnehmung sofort zu tief geht, auch wenn niemand danach gefragt hat.
Das Prisma ist immer da. In Gesprächen mit Fremden, mit Freund:innen, in meiner Familie. Jedes Wort trägt mehrere Schichten, und ich kann nicht anders, als sie zu sehen. Das macht es schwer, im Alltag unbeschwert zu wirken. Es lässt mich oft fremd fühlen. Und doch weiß ich: Das bin ich.
Ich glaube, viele neurodivergente Menschen kennen dieses „Zerlegen“ der Wirklichkeit. Für manche ist es eine Stärke, für andere eine Last. Für mich ist es beides zugleich.
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