Viele neurodivergente Menschen kennen ihn: den Moment, an dem alles zu viel wird und man plötzlich „abtaucht“. Von außen wirkt es vielleicht wie Desinteresse. In Wahrheit ist es Selbstschutz.

Ich kenne dieses Muster seit meiner Kindheit. Nach einem langen Schultag, nach sechs oder sieben Stunden voller Lärm, Input und sozialer Anforderungen, kam ich nach Hause und war erst einmal zwei, drei Stunden zu nichts zu gebrauchen. Ich musste die Reizflut sortieren, bevor ich wieder ansprechbar war.

Als ich mit 16 auszog, fiel mir auf, dass es noch deutlicher wurde. Ich war oft mit meiner Clique unterwegs, wie es in den frühen 2000ern üblich war: den ganzen Tag zusammen, nie allein. Und irgendwann kam dieser Punkt, an dem mein System nicht mehr konnte. Dann schaltete ich ab: Handy aus, mehrere Tage oder auch eine Woche verschwunden. Es war der einzige Weg, mich sozial zu erholen. Damals hatte ich keine Worte dafür. Heute nenne ich es meinen „Dopamin-Kater“.

Dieses Muster begleitet mich bis heute. Wenn zu viel Input kommt, ziehe ich mich zurück. Kopfhörer werden zu einem Schutzraum. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich fast jeden Abend zur selben Zeit meine Kopfhörer aufsetze, um in einen Tunnel einzutauchen – Kochen, Musik hören, Dinge tun, die mich abschirmen. Neurodivergente Menschen müssen das nicht erklärt bekommen. Das mit den Kopfhörern ist einfach ein Ding.

Es gibt Phasen, in denen der Rückzug Monate dauert. Ich habe das nie als Wahl erlebt, sondern als Notwendigkeit. Wenn der Körper und das Gehirn signalisierten: genug. Dann half nur noch Rückzug. Das Licht ausmachen, alles ausblenden, mich unsichtbar machen, bis sich mein Nervensystem beruhigt hatte.

Wichtig ist: Rückzug bedeutet nicht Ablehnung. Er bedeutet nicht, dass Beziehungen unwichtig wären. Er bedeutet, dass die eigenen Ressourcen aufgebraucht sind. Dass man in einer überreizten Welt eine Höhle braucht, um wieder zu Kräften zu kommen.

Vielleicht ist das auch ein Beitrag, den neurodivergente Menschen für die Gesellschaft sichtbar machen können: dass Rückzug keine Schwäche ist, sondern ein legitimer Teil von Selbstregulation. So wie Sport, Meditation oder Pausen für andere selbstverständlich sind, so ist Rückzug für uns notwendig.

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