Sprache ist nie neutral. Wenn wir über Neurodivergenz sprechen, nutzen wir oft Begriffe, die mehr über gesellschaftliche Machtverhältnisse erzählen als über die Menschen selbst. Wörter wie „auffällig“, „gestört“, „krank“ sind tief in unserem Alltag verankert. Sie markieren Abweichung, sie grenzen aus, sie rücken Menschen auf subtile Weise ins Defizit.
Das Problem ist nicht nur, dass andere diese Begriffe benutzen. Das Problem ist auch, dass wir sie übernehmen. Denn wir sind die, die den ganzen Tag mit uns selbst sprechen.
Hier lohnt ein Vergleich: In der Neurobiologie weiß man, dass sich durch wiederholte Reize Synapsenbahnen verstärken – man spricht von Hebb’scher Plastizität. „Neurons that fire together wire together.“ Genau so funktioniert auch Sprache im Inneren. Wenn wir bestimmte Worte immer wieder zu uns selbst sagen, verstärken wir diese Bahnen. Die Worte werden zur festen Spur im Denken.
Wer sich selbst sagt „ich bin gestört“ oder „ich bin auffällig“, zementiert das Bild, das andere einem zuschreiben – und untergräbt unbewusst den eigenen Selbstwert. Die innere Stimme wiederholt und verstärkt die Stigmatisierung, bis sie sich als Realität anfühlt.
Es geht dabei nicht darum, alles schönzureden oder Probleme zu leugnen. Neurodivergenz bringt reale Herausforderungen mit sich. Aber es macht einen Unterschied, ob wir sie in einer Sprache beschreiben, die uns verkleinert, oder in Worten, die die Realität benennt, ohne uns selbst abzuwerten.
Wenn wir die Macht dieser Worte verstehen, können wir beginnen, sie zu verändern. Nicht durch künstlich positive Etiketten, sondern durch Sprache, die uns ernst nimmt – in unseren Stärken wie in unseren Schwächen. Worte prägen, wie wir gesehen werden. Noch wichtiger: Sie prägen, wie wir uns selbst sehen.
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